deutsch Esperanto    


Bei Esperanto kann man einen Teil der eigenen muttersprachlichen Denke beibehalten

Wenn man eine fremde Sprache lernt, muss man normalerweise viele der eigenen Sprachgewohnheiten aufgeben und sich völlig den fremden unterordnen. Dazu zählen auch Dinge wie die Frage, wo man direkte und indirekte Objekte im Satz unterbringt, an welcher Stelle sich das Verb befindet, ob die Adjektive vor oder hinter dem zugehörigen Substantiv anzuordnen sind, und dergleichen. Die eindeutigen Endungen und Funktionskennzeichen wie z.B. der immer zu erkennende Akkusativ erlauben Esperanto eine außergewöhnlich hohe Flexibilität in der Anordnung der Satzelemente. Die weitgehende "Etikettierung" der Wörter durch die Endungen erlaubt einerseits den Lernenden, manche ihrer sprachtypischen Anordnungsgewohnheiten beim Übersetzen ins Esperanto beizubehalten, und ermöglicht gleichzeitig anderssprachigen Esperantisten, sie trotzdem mühelos zu verstehen.

Diese Eigenschaft möchte ich hier für Deutsch, Französisch und Japanisch an einem Beispielsatz illustrieren.

Übersetzung aus dem Deutschen ins Esperanto

deutsch: Zwei   weiße   Schwäne   schwimmen   im   Teich.
Zerlegung:zweiweiß + -eSchwan + "-eschwimm- + -en in + demTeich
Analyse:2X(Adjektiv) + PluralX(Subst.) + PluralX(Verb) + Gegenwart/3.P.Plural Präposition mit DativArtikelX(Subst.)/Singular
              ↓             ↓ ↓             ↓  
Konstruktion:2X + "Adjektiv" + "Plural"X + "Subst." + "Plural"X + "Gegenwart" PräpositionArtikelX + "Subst."
Synthese:dublank - a - jcign - o - jnaĝ - as enlalaget - o
Esperanto: Du   blankaj   cignoj   naĝas   en   la   lageto.
"3.P.Plural" bedeutet "dritte Person Plural", also die "sie-Form". Esperanto-Verben benutzen weder Personal- noch Pluralendungen.
Aussprache von Esperanto: "aj" = deutsch "ai", "oj" = deutsch "oi", "c" = deutsch "ts", "ĝ" = deutsch "dsch". Die Betonung liegt auf der vorletzten Silbe.

Während im Deutschen das Adjektiv "weiß" sowohl die Wortwurzel darstellt als auch bekannt ist, daß es sich um ein Adjektiv handelt, wird in Esperanto der Wortwurzel "blank-" die Adjektivkennzeichnung "-a" angehängt und erst dadurch wird die Wurzel zu einem richtigen Adjektiv. Danach folgt im vorliegenden Fall noch die Mehrzahlendung "-j". Beim Substantiv ist es genauso, wobei die Substantivkennung "-o" ist. In Esperanto haben Substantive kein grammatisches Geschlecht und die Verben keine Personalendungen. Übrigens ist das Wort "lageto" (Teich) genaugenommen aus "lag-" (See), der Verkleinerungspartikel "-et-" sowie der Substantivkennung "-o" zusammengesetzt, also eigentlich "lag-et-o".

Übersetzung aus dem Französischen ins Esperanto

französisch: Deux   cygnes   blancs   nagent   dans   la   mare.
Zerlegung:deuxcygne + -sblanc + -snag- + -ent danslamare
Analyse:2X(Subst.) + PluralX(Adjektiv) + PluralX(Verb) + Gegenwart/3.P.Plural PräpositionArtikelX(Subst.)/Singular
            ↓             ↓ ↓             ↓  
Konstruktion:2X + "Subst." + "Plural"X + "Adjektiv" + "Plural"X + "Gegenwart" PräpositionArtikelX + "Subst."
Synthese:ducign - o - jblank - a - jnaĝ - as enlalaget - o
Esperanto: Du   cignoj   blankaj   naĝas   en   la   lageto.

Wie man sieht, ist das Ergebnis fast identisch zum obigen deutschen Beispiel. Nur "blankaj cignoj" erscheint hier verdreht, aber das ist egal, weil es in Esperanto freigestellt ist, ob man ein Adjektiv vor oder hinter dem zugehörigen Substantiv nennt. Die relative Position des Adjektivs beeinflusst in Esperanto nicht seine Bedeutung - anders als im Französischen, wo bestimmte Positionswechsel die Bedeutung durchaus ändern können (z.B. ist dort eine "belle-mère" keine "schöne Mutter", sondern vielmehr die Schwieger-Mutter).

Übersetzung aus dem Japanischen ins Esperanto

japanisch: 二 羽 の 白 い 白 鳥 が 池 に 泳 い で い る 。
Niwa   no   shiroi   hakuchô   ga   ike   ni   oyoide   iru.
Zerlegung:ni + -wa + noshiro + -ihakuchô + ga ike + nioyogi- + -te + iru
Analyse:2 + Stck. + vonX + AdjektivX(Subst.) + Nominativ X(Subst.) + PostpositionX(Verb) + Dauer + Gegenwart
  ↓       ↓     ↓           ↓           ↓
Konstruktion:2X + "Adjektiv" + "Plural"X + "Subst." + "Plural" PräpositionArtikelX + "Subst."X   + "Dauer"   + "Gegenwart"
Synthese:dublank - a - jcign - o - j enlalaget - onaĝ - ad - as
Esperanto: Du   blankaj   cignoj   en   la   lageto   naĝadas.
Die dem Esperanto wie dem Japanischen gemeinsame Abwesenheit des grammatischen Geschlechts und der Personalendungen an den Verben wird ein Japaner wohl freudig begrüssen, er wird aber das Voransetzen der Präpositionen und die Verwendung des ihm nicht gewohnten bestimmten Artikels üben müssen - was aber eine relativ einfache und äußerst sinnvolle grammatische Übung für Japaner ist, da ihnen dies unmittelbar hilft, wenn sie sich daranmachen, später auch andere Fremdsprachen mit Artikeln wie z.B. Englisch oder Arabisch zu erlernen.

Von diesen lokalen, regelmäßig erfolgenden Umstellungseffekten abgesehen kann also AUCH EIN JAPANER weitgehend so daherreden "wie ihm der Schnabel gewachsen ist" ! Und Esperanto ist auch mächtig genug, um einem Japaner zu erlauben, eine in seiner Sprache gern ausgedrückte Nuance, hier die "Dauerhaftigkeits-Nuance" des Vorgangs (es findet nicht bloß einen Moment lang, sondern eher länger statt), auch in Esperanto auszudrücken - sofern er will. Und das wird dann von den anderen Esperanto-Sprechern auch verstanden.

Idiomatische Ausdrücke

Beim Übersetzen aus irgendeiner Sprache in irgendeine andere Sprache dürfen idiomatische Ausdrücke nur dann wörtlich übersetzt werden, wenn es in der Zielsprache denselben idiomatischen Ausdruck gibt und er dort dann auch wieder dasselbe bedeutet. Das gilt selbstverständlich auch für die Übersetzung ins Esperanto: normalerweise formuliert man den Ausgangssatz so um, dass er keine Idiomatismen mehr enthält, oder man übersetzt ihn zunächst wörtlich (mit Anführungszeichen) - um hinterher explizit zu erklären, was damit genau gemeint war.

In den mehr als 120 Jahren der Existenz von Esperanto hat sich bereits eine beachtliche Menge an originaler Esperantoliteratur angesammelt, dafür wurde vom Internationalen PEN-Club 1993 eine eigene Esperanto-Abteilung gegründet. In dieser Literatur finden sich auch Beispiele von idiomatischen Ausdrücken, die in der Esperanto-Sprecherschaft mehr oder weniger bekannt sind. Das betrifft insbesondere die schon vom Esperanto-Erfinder Zamenhof verwendeten. Im Allgemeinen vermeidet man in Esperanto aber alle "nicht selbsterklärenden" Idiomatismen, damit auch Leser aus anderen Kulturkreisen den Text richtig verstehen.

Ergebnis:
Angehörige verschiedener Muttersprachen können die Flexibilität der Esperanto-Struktur dazu nutzen, typische Wortanordnungen ihrer eigenen Sprachen bis zu einem gewissen Grad in Esperanto nachzuahmen, was Lernenden sicherlich den Einstieg erleichtert.

Das Entscheidende ist, dass jede der obigen Esperanto-Satzvarianten dennoch grammatisch korrekt ist und von allen Esperantisten - gleich welcher Muttersprache - richtig verstanden wird. Die Besonderheiten der verschiedenen Muttersprachen, soweit Esperanto-Sprecher sie gegebenenfalls in ihre Satzbildung einfließen lassen, äußern sich in Esperanto nur als die Verständigung nicht behindernder "Lokalkolorit".

Der wohl berühmteste aller Beispielsätze in Esperanto

deutsch: ich   liebe   dich
Zerlegung:ichlieb- + -edu (Akkusativform)
Analyse:PronomenX(Verb) + Gegenwart/1.Person/SingularPronomen/Akkusativ
 ↓           ↓ ↓                 ↓
Konstruktion:PronomenX + "Gegenwart"Pronomen + "Akkusativ"
Synthese:miam - asvi - n
Esperanto:mi   amas   vin
Grammatisch korrekt und verständlich wäre aber auch "mi vin amas", "amas mi vin", "amas vin mi", "vin amas mi", und "vin mi amas".

Die in Esperanto wie auch z.B. im Japanischen stets klare Kennzeichnung des Akkusativs (in Esperanto durch die Endung "-n") ist eine gute grammatische Übung für Deutsch- und Englisch-Sprecher, die sich dieses Falles oft nur undeutlich bewußt sind, da er im Deutschen nur bei einigen, nicht allen, Personalpronomen (ich/mich, du/dich, er/ihn, wir/uns, ihr/euch) sowie bei männlichen Wörtern in der Einzahl (der Hund/den Hund, ein Hund/einen Hund) angezeigt wird. Im Englischen wird der Akkusativ noch seltener, nämlich nur bei einigen Personalpronomen angezeigt (I/me, he/him, she/her, we/us, they/them). Wegen seiner Formengleichheit mit dem Nominativ in allen anderen Fällen wird die Akkusativkennzeichnung von Esperanto-ungeübten Sprechern des Deutschen und des Englischen leicht mal vergessen - das Erlernen von Esperanto trainiert das Fälle-Bewußtsein, das beim Erlernen vieler anderer Sprachen gebraucht wird:

Die wichtigsten Fälle in Esperanto:
 NominativGenitivDativAkkusativInstrumental
Singular:la trajnode la trajnoal la trajnola trajnonper [la] trajno
Plural:la trajnojde la trajnojal la trajnojla trajnojnper [la] trajnoj
la trajno = der Zug

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